Was trägt der Mann im Allgäu? Welche Jackenform war und ist beliebt, wie hat sie sich entwickelt?
Dank der Hilfe kompetenter Ansprechpartner haben wir uns auf die Suche in der Vergangenheit gemacht. Vom kurzen Jäckchen zum Tanz, das Polkaschöble, über den Kirchenrock,
dem Gehrock bis
zur heute beliebten Gebirgstrachtenjacke ist alles dabei. Wie die Dame zieht sich der Mann hübsch an, macht sich schick – denn Kleider machen Leute.

Eines gleich vorweg: Mit diesem Artikel möchten wir nicht in die Diskussion eingreifen, welche Allgäuer Tracht die richtige war und ist. Wir betrachten die unterschiedlichen Jackenmodelle der Herren aus der Vergangenheit bis heute. Wir geben keine Empfehlung und machen keine Vorgabe, welche schön, passend oder zeitgemäß ist. Lassen Sie uns einfach die Vielfalt im Kleidungsverhalten auch in der Männermode genießen. Und da hatte das Allgäu früher und es hat heute einiges zu bieten.

Vom Militär besonders geprägt
Allgemein griffen Männer lange Zeit modische Strömungen früher auf als Frauen. Durch den Militärdienst oder durch Ausbildung und Beruf sind sie in früheren Zeiten mehr gereist. „Wenn früher ein Bauernbub zum Militär eingezogen wurde, hat er Handgeld erhalten, aber die Familie musste die Uniform bezahlen“, erinnert sich Jürgen Hohl, Heimatkundler aus Weingarten. So ist der Soldat in der Uniform nachhause gekommen, hat sie behalten und das Militärische ist bei den Bauern eingewandert. Im Allgäu ist die Entwicklung der Herrentrachtenkleidung ebenfalls stark beeinflusst vom Militär.

Der Ursprung – der Justaucorps
Dabei spielte ganz am Anfang der Französische Hofrock, der Justaucorps eine wichtige Rolle. Es ist dies ein Herrenrock, enganliegend am Körper, die Hauptoberbekleidung des Mannes im 17. und 18. Jahrhundert.

„Der ursprüngliche Justaucorps ist kragenlos, der Schoß steht seitlich in Falten ab und ist für den Degen geschlitzt“, erklärt Monika Hoede, Trachtenberaterin beim Bezirk Schwaben. Mit der Zeit erhielt er einen Stehkragen (circa 1760), der in abgerundete Vorderkanten übergeht, später dann einen Reverskragen. Anfänglich wurde er im Allgäu aus weißem Leinen genäht. Schließlich hatte man wenig Geld und den ungefärbten Stoff zuhause im Schrank. Mit der Zeit veränderte er sich, und wer es sich leisten konnte, fertigte ihn aus Tuch in Braun, Blau oder Schwarz.

Jürgen Hohl

❦ Leiter des kulturellen Beirats der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte
❦ Mitglied im Landestrachtenbeirat für die Region Oberschwaben-Allgäu-Bodensee
❦ 10 Jahre lehrende Tätigkeit in der schwäbischen Akademie in Irsee
❦ 20 Jahre Organisation der Heimattage in Baden-Württemberg
❦ Museumsgründung 1985 in Bad Wurzach – Eggmansried
❦ Beratung und Ankleidung von 26 Musikkapellen

Jürgen Hohl – Ein wandelndes Lexikon für regionale Kleidung und Brauchtum
Geboren 1944 in Ravensburg, wohnhaft in Weingarten. Er ist ein oberschwäbischer Heimatkundler, Restaurator, Modist, Volkskleidungsspezialist.

Besonders stolz ist er, dass er es geschafft hat, aus einem Nachlass in München einen der ältesten schwäbischen Gehröcke inklusiv Weste (um 1720) ins Museumsdorf Kürnbach, Bad Schussenried zu bringen.

Für sein außerordentliches Engagement zur Heimat- und Brauchtumspflege und der Trachtenerhaltung erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, darunter die Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg und die „Luise“, die höchste Auszeichnung des deutschen Trachtenverbandes.

„Es war und ist mir ein großes Anliegen, die Begeisterung für Tracht zu fördern. Mein größter Wunsch ist, dass sich die Jugend von der klassischen Volkskleidung inspirieren lässt und sie weiterträgt“.
„Wenn die Bauern ihre Waren in die Stadt lieferten, sahen sie die Mode der Städter und machten sie nach. Die Schnitte dazu erhielten sie von den jüdischen Händlern“, so Hohl, der anhand von alten Gemälden und Votivtafeln den männlichen Gehrock erforschte.

Der Gehrock – die männliche Rockform
Diese männliche Rockform hat sich weiterentwickelt. Sie ist länger geworden und war das bevorzugte Kleidungsstück für Sonntage, in die Kirche und zu feierlichen Anlässen. „Ich habe ihn Votivmantel getauft, denn auf vielen Votivbildern ist er zu sehen. Sogar die Heiligen tragen ihn“, berichtet der Weingartner Kleidungsforscher. Die neue Modeströmung – so ab 1840 – macht den Herrenrock jedoch kürzer. Er heißt jetzt Kamisol (aus dem Französischen Camisolére, also Weste mit Ärmel). Die Reversecken werden umgelegt, der Verschluss ist doppelreihig. Dieser Kurzkittel ist äußerst beliebt und hat die ganze Region erfasst. Im Allgäu wird dafür der Begriff Janker eingeführt.
Eine weitere Besonderheit entwickelt sich zeitgleich im Allgäu: Ein Kirchenmantel, der ab der Taille glockig angesetzt ist und mit zwei Knöpfen im Rücken versehen – eine Anlehnung ans Militär. Variationen des Mantels in der Empirezeit (frühes 19. Jahrhundert) sind Gehrock, blauer Tuchrock oder Frack.
Es hat also zur damaligen Zeit schon beides gleichzeitig gegeben: die kurze Jacke und den langen Gehrock. „Interessant ist, dass der Verschluss doppelreihig war mit Knopflöchern auf beiden Seiten, um rechts über links oder links über rechts zu knöpfen. Erst Ende des 19. Jahrhunderts wird in der Herrenmode endgültig die links- aufrechts Knöpfung zur Regel“, berichtet Monika Hoede.

Die kurze Jacke – perfekt zum Tanzen
Mit einem Gehrock zum Tanzen zu gehen war keine so gute Idee. Dazu ist die Männerjacke taillenkurz geworden: sie nennt sich im Volksmund „Polkaschöble“. Auf der Schulter sind die Ärmel angekraust eingenäht. Sie ist zweireihig geknöpft und hat im Rücken zwei funktionslose Knöpfe. Dazu trägt der Mann eine Lederbundhose, eine ideale Kombination zum Tanz.
Egal wie lang oder kurz, unter die Männerjacke gehört eine Weste. Anfangs noch hoch zugeknöpft wird immer mehr der obere Knopf offengelassen. Als Material wird der gleiche Stoff wie beim Justaucorps, aber auch kontrastreiches Material verwendet. Während im Rokoko die hüftlange Seidenweste modern ist, wird in der Empirezeit die taillenkurze Weste hochgeschlossen mit hohem Stehkragen getragen.
Rot als Westenfarbe war (und ist) hochaktuell. Später sind Seidensamt mit Muster oder Seidenbrokat, gerne in bunten, auffallenden Farben „en vogue“.

Knöpfe in vielen Formen
„Wer es sich leisten konnte, hatte mindestens 15 Knöpfe. Der Knopf, vor allem die Menge der Knöpfe, war der Inbegriff für die Demonstration von wohlhabend, bei den besseren Leuten versilbert, bei den einfacheren aus Zinn“, erklärt Jürgen Hohl. Er hat in seinen Forschungen die alten Knopfformen studiert und zusammen mit der Firma Negele aus Tübingen wiederaufleben lassen. Da gibt es für die Weste den Kugelknopf, auch Duttenknopf genannt, für die Jacke den Buckelschildknopf, er ist flach mit einer Noppe in der Mitte. Später sind die Talerknöpfe hinzugekommen.

Hemd, Halsflor, Ranzenheber
Vervollständigt wird das Outfit mit einem weißen Hemd, meist mit Stehkragen. Dazu ein schwarzes Flortuch aus leichtem Seidenstoff, das zur Schleife gebunden oder vorne verknotet wird. Zu dieser Halsbinde gibt es laut Jürgen Hohl einen historischen Hintergrund:
Der König von Frankreich hat um 1650 als Kriegsheer kroatische Regimente angekauft. Sie machten sich mit dem schwarzen Tuch unkenntlich bis zur Nase – daher kommt der Name Kroatentuch, daraus entstand das Wort Kravate. Zusätzlich ergänzen manche Männer die Tracht mit einem Ranzenheber, einer Art Charivari, wie es in Oberbayern genannt wird, also eine silberne Kette mit Talern von Westentasche zu Westentasche.

Die Gebirgstracht
Tracht unterliegt Veränderungen und Erneuerungen. Durch zahlreiche Einflüsse wurde die für manche Arbeiten praktischere bis über das Knie gekürzte Lederhose salonfähig und ist das Markenzeichen für die sogenannte „Gebirgstracht“ geworden. Die dazu getragene Joppe hat nicht nur eine Tiroler, Oberbayerische bzw. Miesbacher Geschichte.
Auch im Allgäu hat sie regionale Ausprägungen erfahren, was vor allem dem Einfluss der seit der Jahrhundertwende immer zahlreicheren Trachtenvereine zu verdanken ist. Nicht zuletzt die Wittelsbacher trugen zur Beliebtheit der Gebirgstracht bei. Vor allem Prinzregent Luitpold hat sie gerne zur Jagd im Allgäu getragen. Die kniefreie Lederhose wirkte moderner, schicker und männlicher.
Nicht immer zum Gefallen der Kirche, bei der die sogenannten „Kniehösler“ anfangs auf Ablehnung stießen. Die Geschichte der Trachtenvereine und somit auch der Gebirgstracht im Füssener Land erforschen die Kleidungskundler des Bezirks Schwaben gerade für die Ausstellung des Stadtmuseums Füssen: „Sehnsucht nach Heimat – Trachtenkultur im Füssener Land“. Wer in diese Thematik tiefer einsteigen möchte, sollte sich im Sommer (zwischen 02. Juli & 31. Oktober) einen Ausflug nach Füssen gönnen.
Ob die Gebirgstracht aus dem Oberbayerischen zusammen mit dem Schuhplattler eingewandert ist oder auch Allgäuer Wurzeln hat, lässt Kleidungskundler rätseln. Denn es gibt durchaus seltene Bildquellen, die zeigen, das kurze Lederhosen und schwarze Mieder lange vor der Zeit der Gebirgstrachtenerhaltungsvereine im Allgäu von der Landbevölkerung getragen wurden. Fest steht, dass sie erst mit den Trachtenvereinen an Popularität gewonnen hat und auch für festliche Anlässe zu Ehren kommen darf.

Es lebe die große Trachtenvielfalt
Tracht erlebt Veränderung und lebt von Veränderung. Auch im Allgäu gibt es eine breite Vielfalt. Oft zeigt sich bei einem Trachtenumzug die ganze Palette verschiedener Kleidungsstile. Am auffallendsten sind die Unterschiede zwischen Gebirgstracht und historischer Tracht. Zusätzlich unterscheidet sich die Vereinstracht von Ort zu Ort in Kleinigkeiten wie Farbe und Ausstattung. Typisch und traditionell trägt der Allgäuer Mann die Jacke oder das Kamisol, dazu Weste, Lederkniebundhose oder lange schwarze Hosen, weißes Hemd und ein Tuch oder Krawatte.
Auch heute entscheiden Allgäuer Trachtengruppen, Musikkapellen oder Heimatvereine eigenständig ihre Kleiderregeln, oft angelehnt an alte Vorlagen. Es sollte jedoch einheitlich sein, damit es ein harmonisches Gesamtbild entsteht.
Kleidung – egal ob für den Herrn oder die Dame – ist und bleibt ein individuelles Thema, manchmal löst es auch Diskussionen aus.

Text: Edith Reithmann

Quellenverzeichnis:

Abb 1: Männerjacken, schwäbische; kurz und lang Bild: Andreas Lode
Abb 2: Jürgen Hohl
Abb 3: Ehepaar Fleschutz auf dem Schwabentag in Rain am Lech 2009, sie trägt ein Pfauenrädle, er den Dreispitz als Kopfbedeckung sowie einen Gehrock samt passenden Hut
Foto: Christoph Jorda
Abb 4: Foto: Christoph Jorda
Abb 5: Aus der Knopfsammlung von J. Hohl
Abb 6: Zum zehnjährigen Jubiläum der Trachtenberatung des Bezirks Schwaben kamen auch drei der aktivsten Trachtenvereins-Mitglieder aus
Hindelang: Siegfried Bellot, Albert Wechs und der inzwischen leider verstorbene Martin Alt, dahinter die Trachtenberaterin Monika Hoede. Den Allgäuern war schon immer wichtig, dass ihre Joppen wiederspiegeln, dass im Allgäu schlichtere ärmere Verhältnisse herrschten als im Miesbacher Raum Foto: Andreas Lode